Ich glaube wir haben noch gar nicht begriffen, welchen historischen Moment wir gerade in Wien erleben. Fast genau hundert Jahre nachdem Otto Glöckl sein reformpädagogisches Werk für das Rote Wien begonnen hat, wird es von einem jungen NEOS-Politiker beendet.
Nicht nur, dass hunderte reformpädagogische Projekte mit einem Schlag beendet werden müssen (alleine bei uns in der Schule sind es 3 Mehrstufenklassen), es wird auch die “große Klasse” wieder zum Dogma erhoben. Jahrzehntelang haben wir für niedrigere Klassenschülerhöchstzahlen, für bessere Betreuungsverhältnisse gekämpft, mit einem Satz ist das alles beendet.
Besonders perfide ist in diesem Zusammenhang das Zauberwort “Gerechtigkeit”, das ein neoliberales trojanisches Pferd ist, weil es so gut klingt und so schwer dagegen zu argumentieren ist. Wer aber Werte durch Gerechtigkeit ersetzt, verhindert den Fortschritt. Warum spricht eigentlich niemand von einer gerechten Klimapolitik? Weil hier sehr schnell deutlich würde wie pervers das ist. Eine gerechte Klimapolitik würde bedeuten, alle 500m EINEN neuen Baum zu pflanzen, weil mehr Geld haben wir nicht. Dann hätten alle Wiener:innen zumindest einen Baum in 500m Umkreis. Die Wirkung wäre zwar null, weil Bäume erst in Gruppen ein wenig Verbesserung des lokalen Klimas bringen, aber es wäre gerecht. Und wenn ich nur Geld habe um 10.000 Bäume die in den letzten Jahren neu gesetzt wurden regelmäßig zu gießen, ich aber weitere 2.000 neue setze weil Wien größer wird, werden jetzt 2.000 andere Bäume dafür wieder eingehen. Gerecht?
Hier würde die Politik natürlich sofort mehr Geld bereitstellen, und nicht mit Gerechtigkeit argumentieren damit auch die zusätzlichen 2000 Bäume gegossen werden können. Wenn es aber nicht um Klimapolitik geht, sondern um Bildungspolitik gibt es kein zusätzliches Geld sondern die 2000 schon früher gepflanzten Bäume – in dem Fall die hunderten reformädagogischen Projekte – müssen wieder sterben.
Christoph Wiederkehr hat es geschafft in die Geschichte einzugehen und einen zentralen Teil des Roten Wien zu zerstören und durch Gerechtigkeit zu ersetzen. Die konservative Wende ist geschafft ohne dass irgendwer in der SPÖ aufmuckt. Ein trauriger Tag.
Marcel K., Vater OVS Zennerstraße