Der Schulschluss in Wien war im Juni 2021 für viele LehrerInnen, Eltern und Kinder extra-anstrengend.
Von Eva Neureiter, Lehrerin der Offenen Volksschule OVS Zennerstraße in Wien Penzing
Nicht nur, dass eineinhalb Jahre Corona-Schule sehr an den Kräften zehrten, haben die Bildungsdirektion Wien (Bildungsdirektor Heinrich Himmer, SPÖ) und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) Anfang Juni ein neues System der LehrerInnen-Stunden-Vergabe vorgestellt, dass für die Schulen ein großes Sparpaket darstellt und die bisherige Arbeit verunmöglicht.
LehrerInnen, Eltern und Schüler schrieben nicht nur Protestbriefe und Mails, sondern gingen in Wien auch auf die Straße
2.000 Kinder, Eltern und LehrerInnen versammelten sich am Montag, den 28.6.2021 beim Wiener Rathaus, um gegen die neue Vergabe von LehrerInnen-Stunden zu demonstrieren. Der Protest richtete sich gegen Stadtrat Christoph Wiederkehr und die Bildungsdirektion Wien, die unter den Schlagwörtern „Reform“ und „Transparenz“ ein großes Sparpaket umsetzen.
„Die neue Vergabe von LehrerInnenstunden erfolgte so knapp, dass an Schulen nicht einmal die stundenplanmäßigen Unterrichtsstunden abgedeckt werden können. Förderstunden werden gestrichen, Projekte wie die Mehrstufenklassen drohen aufgelöst zu werden, Integrationsklassen wird die Arbeit erschwert, künftig sollen bis zu 20 Kinder in einer Deutschförderklasse sitzen. Weder der Bildungsdirektor Heinrich Himmer noch der Stadtrat Wiederkehr wollten mit den jungen DemonstrantInnen sprechen”, berichtete Radio Orange über die Widerstands Chronologie am 3. Juli .2021.
Was war da los in den letzten drei Schulwochen am Ende eines besonders anstrengenden Schuljahres?
Versuch einer Einordnung der Proteste
Am 2.6.2021 erfuhren die Direktorinnen, dass es ein neues, transparentes Vergabeverfahren der LehrerInnenstunden (Kontingente) geben wird. Jede Schule bekommt ein Grundkontingent und kann zusätzliche Stunden für Projekte beantragen (bis 8.6.2021).
Davor war die neue Kontingentvergabe weder für die Direktor*innen, die Lehrer*innen oder die Personalvertretung ein Thema. Bis zum 14.6.2021 sollten Rückmeldungen kommen, die sich allerdings bis 17.6.2021 verzögerten.
Dann begannen wir die Proteste: schon am selben Abend informierten wir die ElternvertreterInnen, ein Offener Brief „Zenneraufschrei“ wurde geschrieben (auf den folgte prompt die Rüge an die Frau Direktorin sie hätte ihre „LehrerInnen nicht im Griff!“, ein größeres Elterntreffen mit über 50 Eltern – teilweise auch aus anderen Schulen – beschloss vier Tage später eine Bildungsdemonstration, Medienvertreter*innen wurden kontaktiert, Mails und Protestbriefe geschrieben, etc.
Wir lieben unsre Schule und wir brauchen sie sehr, lautet die Textpassage eines Protestliedes der OVS Zennerstraße
Im Offenen Brief und unseren Protesten ging es um folgende Inhalte: alle 2.0-Förderstunden wurden gestrichen, bis zu 20 Kinder werden in der Deutschförderklasse sitzen, Höchstzahl
von 25 Kindern wird zur Mindestzahl (damit stundenplanmäßiger Unterricht besetzt werden kann), den Mehrstufenklassen mit Integration wurden alle Teamstunden gestrichen, unsere Schule bekommt 20 Prozent weniger Stunden bei mehr Klassen und SchülerInnen, der Zeitpunkt der Information war schlecht gewählt. Die Demo war für alle Beteiligten ein wichtiges Zeichen und für so manche Schülerin manchen Schüler die erste ihrer Art!
Was ist die neue Kontingentvergabe?
Die neue Kontingentvergabe berechnet nur mehr 55 Prozent der bisherigen Stunden als „Basiskontingent“ https://www.wien.gv.at/presse/hintergrund/lehrerzuteilung.
Gerechnet wurde in der Bildungsdirektion mit aktuellen SchülerInnen-Zahlen, da Wien eine wachsende Stadt ist, haben viele Schulen im kommenden Schuljahr mehr SchülerInnen als in vergangenen Jahren. Außerdem wird das Kontingent mit Klassen von 25 SchülerInnen berechnet – also, nur eine Klasse mit 25 Kindern bekommt genügend Stunden, damit alle 21 oder 22 Unterrichtstunden (Volksschule) mit einer Lehrerin stattfinden können.
Unsere Schule in der Zennerstraße bekam nicht ausreichend Stunden zur Besetzung des stundenplanmäßigen Unterrichts, da wir 1 Klasse mehr eröffnen und einige Integrationsklassen derzeit „nur“ 21 oder 22 SchülerInnen haben.
Wir wurden zum Spielball der Politik
Eine der ersten Antworten auf unseren offenen Brief war ein Anruf aus dem Ministerium (ÖVP). Das Ministerium ließ ausrichten, dass die Kontingente, die das Ministerium an Wien vergeben hat, im Vergleich zum Vorjahr gleich geblieben sind.
Die Bildungsdirektion Wien (überwiegend SPÖ) und Bildungsdirektion Himmer redeten sich auf den Bund (das Ministerium = ÖVP) raus (quasi: „Die geben uns nicht mehr!“). Dazu sein angemerkt, dass die Stadt Wien die zusätzlichen Förderstunden (Förderung 2.0)
gestrichen hat.
Die NEOS stellen in Wien den Bildungsstadtrat, Bildung war ihnen im Wahlkampf ein wichtiges Thema, „Transparenz“ ein wichtiges Schlagwort. Nun „verkauft“ der neue Stadtrat Christoph Wiederkehr eine Reform. Hat er wirklich Ahnung, was er hier tut?
Die GRÜNEN haben hier nichts zu verlieren und interessieren sich für die Anliegen der Eltern und PädagogInnen. Aber wird uns das etwas bringen?
Die FPÖ brauchte gar nicht in Erscheinung zu treten, denn die anderen arbeiten in ihre bildungspolitische Richtung:
– mehr Kinder in der Deutschförderklasse bedeutet weniger Integration dieser Kinder, da sie weiger Deutsch lernen können;
– die Förderung für sozial benachteiligte Kinder ist gestrichen,
– Integration von Kindern mit Behinderung in der VS und NMS wird erschwert,
– reformpädagogische Projekte werden beendet (Mehrstufenklassen)
Wer profitiert jetzt von der „neuen, transparenten“ Vergabe?
Das konnten wir in diesen drei Wochen nicht herausfinden. Eine Zeit lang konnten die Politiker den Schein wahren, dass „Brennpunktschulen“ mehr Stunden bekommen würden. Doch dann meldeten sich DirektorInnen des 10. Bezirks, denen 1.400 Stunden „fehlen“ (VS und NMS).
Unsere Schule (VS, 14 Klassen im kommende Jahr) verliert 20 Prozent der PädagogInnen, das sind fünf LehrerInnen (einige Stunden konnten bis Schulschluss „nachgebessert“ werden, somit kann die neue 1. Klasse besetzt werden und 2 Junglehrer konnten am
Standort gehalten werden – es gehen „nur“ Drei). Unsere Klassenlehrerinnen rechnen damit im kommenden Schuljahr ohne Teamlehrerinnen ständig alleine in den Klassen mit 25 Kindern zu arbeiten.
Stadtrat Wiederkehr versprach noch vor der Demonstration 2.200 zusätzliche LehrerInnenstunden für ganz Wien, bei 450 Pflichtschulen ein Tropfen auf den heißen Stein (und wie schon erwähnt fehlen alleine an den „Brennpunktschulen“ in Favoriten 1.400
Stunden). Außerdem schmückt sich die Stadt Wien mit 200 zusätzlichen
FreizeitpädagogInnen, die nicht statt LehrerInnen eingesetzt werden können, weil ihre Arbeit die Freizeitpädagogik am Nachmittag ist und an neu eröffneten Schulen stattfinden wird.
Auch bei den mobilen LehrerInnen wurde „gespart“: es wird bedeutend weniger Stunden für SprachheilpädagogInnen, StützlehrerInnen und BeratungslehrerInnen geben. An manchen Schulen mit bilingualem Schwerpunkt wurden die Nativ-Speaker gestrichen.
Mehrstufenklassen (1.-4. Schulstufe in einer Klasse) stehen zwar im Paper der Bildungsdirektion unter „zusätzliche Projekte“ und erhalten damit Teamstunden, dies gilt aber nur für Mehrstufenklassen ohne Integration (von Kindern mit besonderen
Bedürfnissen). Denn laut Beamtin in der Bildungsdirektion sind „in der Integrationsklasse schon zwei Lehrerinnen“ (eine Volksschullehrerin, eine Sonderpädagogin). Dass die Sonderpädagogin auch einen anderen Arbeitsbereich hat als mit Volksschulkindern Unterricht zu machen, dürfte sich nicht bis in die Bildungsdirektion herumgesprochen haben.
Immer wieder wird von der Bildungsdirektion betont, dass keine Lehrerin kein Lehrer die Arbeit verliert. Ja, auch mein Arbeitsplatz ist nicht gefährdet – es geht darum wie ich arbeiten werde. Aber es geht auch um 21 Kinder (teilweise mit schweren Beeinträchtigungen), ihre über 40 Eltern und ihre Familien. Diesen Kindern und Familien hätte zu Schulschluss zugesagt werden können, in welche Klasse sie im Herbst kommen werden. In ganz Wien gibt es viele Klassen (und Eltern und Familien), die in den Ferienmonaten im Unklaren sind.
Wir haben es also mit einer „Reform mit Transparenz“ zu tun: alle bekommen weniger, viele zu wenig und Keine und Keiner kann den Durchblick behalten. Interessant ist, dass unter
Führung der NEOS und der SPÖ gut funktionierende Systeme für besseres Marketing zerschlagen werden. Ob das „unseren Kindern Flügel“ verleihen wird, sie die NEOS es plakatiert haben?
Dieser Text ist zuerst hier veröffentlicht worden: https://www.unsere-zeitung.at/2021/07/10/wir-lieben-unsre-schule-und-wir-brauchen-sie-sehr/ und https://uhudla.at/2021/07/14/demo-und-proteste-gegen-bildungs-reform/